Situation in der Pflegewirtschaft im Marktumfeld 2023

Coronaschutzmaßnahmen, Inflation, steigende Kosten, Fachkräftemangel – Druck aus allen Richtungen und ein Blick nach vorn

In allen Branchen rumort es derzeit aufgrund der steigenden Preise und Kosten. Dabei unterscheidet sich die Betroffenheit der unterschiedlichen Bereiche und ist stark davon abhängig, inwiefern Kostenanstiege durch Preisentwicklungen an Kunden weitergereicht werden können oder wie preissensitiv die Nachfrage nach den jeweiligen Produkten und Dienstleistungen ist. Schwierig bis unmöglich ist es in diesem Kontext für die Pflegebranche, die nur bedingt selbst Einfluss auf ihre wirtschaftliche Existenzsicherung nehmen kann. So mehren sich seit Beginn des Jahres die Meldungen von Verbänden und Trägern, die die pflegerische Versorgungssicherheit aufgrund der Kostenexplosion gefährdet sehen und ein rasches Handeln der Politik fordern.

Doch warum ist der Druck so groß und sind die Herausforderungen für Betreiber so vielfältig?

Die Pandemie brachte für alle Beteiligten eine nie da gewesene Situation und dem Schutz der Bewohner galt jede Aufmerksamkeit. Die Einrichtungen waren im Rahmen der Versorgung der äußerst vulnerablen Bewohner stark gefordert. Viele Hygiene- und Schutzmaßnahmen haben bis heute Bestand und wurden in den Alltag der Einrichtungen integriert. Beim akuten Ausbruchsgeschehen verstarben in den betroffenen Einrichtungen jedoch auch überdurchschnittlich viele Bewohner innerhalb kürzester Zeit. Viele Pflegeeinrichtungen mussten Neubelegungen von Plätzen beispielsweise aufgrund von Isolationsmaßnahmen vorerst zurückstellen, was bei vielen zu rückläufigen Belegungen und somit sinkenden Einnahmen führte. Der Mehrbedarf an Schutz- und Hygienemaßnahmen verursachte erhebliche Mehrkosten und durch pandemiebedingt höhere Krankenstände des Personals wurde mehr Personal benötigt, um die Versorgung der Bewohner aufrechtzuerhalten und die Maßnahmen der Behörden adäquat umzusetzen. Die Anforderungen an Betreiber und Mitarbeiter änderten sich und erhöhten für viele die Arbeitsbelastung enorm. Teils so enorm, dass ein erheblicher Anteil des ohnehin schon begehrten Pflegepersonals in andere Branchen abwanderte.

Mit dem Auslaufen des Corona-Rettungsschirms im Sommer 2022 sind viele Einrichtungen mit Zusatzkosten für Hygienemaßnahmen, Schutzkleidung und zusätzlichem Personalaufwand belastet und nach wie vor mit den Nachwirkungen der Pandemie beschäftigt. Die zurückgefahrenen Belegungen können nur langsam ausgeglichen werden und stellen erhöhte Anforderungen an das Management durch die Betreiber.

Zudem ist das Thema Personal in kaum einer Branche so präsent wie im Pflegebereich. Der demografische Wandel trifft sie doppelt, denn die Nachfrage nach Pflegeplätzen steigt und zeitgleich erreichen immer mehr Mitarbeiter in den Einrichtungen selbst das Renteneintrittsalter, ohne dass die offenen Stellen durch umfangreiche Ausbildungsbemühungen oder die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland besetzt werden können. Aktuelle Pflegebedarfsprognosen gehen bis 2040 von einem zusätzlichen Bedarf an rund 190.000 Vollzeitstellen im Pflegebereich aus. Der sich zuspitzende Fachkräftemangel führt zwangsläufig auch zu steigenden Kosten. Seit September 2022 erfolgt durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) eine flächendeckende Entlohnung aller Pflegemitarbeiter nach Tarif und am 1. Juli 2023 trat das Personalbemessungsverfahren in Kraft, mit dem im Prinzip die bisherige Fachkraftquote von 50 Prozent in den Einrichtungen aufgelöst wird. Stattdessen werden nun drei Qualifikationsniveaus unterschieden. Insgesamt wird durch das Personalbemessungsverfahren mehr Personal in den Einrichtungen benötigt. Gut für die Bewohner und Mitarbeiter – schwierig für den Betreiber, der dieses Personal auf dem Markt finden, einstellen und finanzieren muss.

Und auch hier gilt: Bei Nicht-Einhaltung der Personalvorgaben können Pflegebetten nicht belegt werden. Dann stehen Betreiber vor Einnahmeeinbußen, da sie die vorhandenen Kapazitäten letztlich nicht ausschöpfen können. Zwar kann der Betreiber auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen, dies ist jedoch deutlich teurer als die Beschäftigung eigener Mitarbeiter und kann daher keine dauerhafte Lösung sein.

Nach aktuellen Recherchen des WDR kostet eine angestellte Pflegerin ca. 35 Euro pro Stunde, die Zeitarbeiterin schlägt mit 80 Euro zu Buche. Ein Dilemma für den Betreiber und mittelfristig ein sicheres Verlustgeschäft.

In dieser Phase kommen explodierende Kosten beispielsweise bezüglich der Energie- und Lebensmittelkosten hinzu. Eine Refinanzierung der gestiegenen Kosten ist ohne Verhandlung und Zustimmung der Kostenträger nicht möglich und prospektive Kostenkalkulationen erscheinen in der derzeitigen Situation ohnehin kaum möglich. Dies stellt für viele Betreiber eine existenzbedrohende Situation dar. Im November 2022 einigten sich Bund und Länder auf erste Hilfsmaßnahmen. Über die Direkterstattung des Energie-Hilfsfonds sollen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen unbürokratisch unterstützt werden, um Insolvenzen zu vermeiden und die Mehrkosten der Pflegebetreiber abzufedern. Leider vermelden auch große Betreibergesellschaften, dass sie von diesen Hilfen bislang noch nicht erreicht wurden und stattdessen bereits zweistellige Millionenbeträge für das Gesundheitssystem vorfinanziert haben. Von Oktober 2022 bis März 2023 konnten alle Pflegeeinrichtungen analog zum Pflegeschutzschirm zu Coronazeiten eine Direkterstattung der Energiemehrkosten geltend machen. Darauffolgend kommt bis zum 30. April 2024 eine Gas- und Wärmepreisbremse hinzu, die weitere Mehrkosten ausgleichen soll.

Preisfindung in der vollstationären Pflege

Die Finanzierung vollstationärer Pflegeeinrichtungen ist gesetzlich geregelt. Die Entgelte für Bewohner setzen sich dabei aus den Komponenten Pflegesatz bzw. Einrichtungseinheitlicher Eigenanteil (EEE), Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten zusammen. Die Betreiber der Pflegeeinrichtungen verhandeln mit den Pflegekassen und Trägern der Sozialhilfe in sogenannten Pflegesatzvereinbarungen die Höhe und Laufzeit der jeweiligen Kostenkomponenten. Die Kosten werden prospektiv für die Laufzeit der Vereinbarung kalkuliert (im Regelfall zwölf Monate) und sollen den Betreibern der Einrichtungen bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, dass die entstehenden Aufwendungen finanziert und der Versorgungsvertrag erfüllt werden kann. Nach abgeschlossener Verhandlung informieren die Betreiber alle Bewohner vier Wochen vor Inkrafttreten schriftlich über die Entgelterhöhungen. Die Schreiben begründen die einzelnen Positionen, für die sich Kostensteigerungen ergeben haben.

Nachteil im System

Durch die prospektive Betrachtung der Kosten, bilden diese eine schnelle Dynamik, wie sie an den Märkten in den vergangenen Monaten herrschte, nicht ab. Anders als in der freien Wirtschaft, wo jeder Anbieter von Waren- und Dienstleistungen (Bäcker, Gastronom, Handwerker etc.) seine Preise entsprechend der Inflationsentwicklung direkt an den Verbraucher weiterreichen kann, müssen die Betreiber diese Kosten zunächst eigenständig vorfinanzieren, wenngleich eine anteilige Anpassung erst zukünftig zu erwarten ist. Bereits angefallenen oder in der Vergangenheit angefallene Kosten werden im System zumeist gar nicht kompensiert.

Eine weitere Herausforderung ist der zunehmende Investitionsbedarf der Pflegeeinrichtungen. Neben dem dringend benötigten Neubau von Pflegeplätzen ergibt sich mit zunehmendem Alter der Bestandsimmobilien ein nicht unerheblicher Sanierungs- und Modernisierungsbedarf und Anpassungen durch neue gesetzliche Bestimmungen der jeweiligen Bundesländer müssen zeitnah umgesetzt werden. Die Finanzierungssystematik gewährleistet im operativen Betrieb nur begrenzt einen zu erwirtschaftenden Überschuss für die Betreiber, sodass benötigte Investitionen verschoben und auch Themen wie Digitalisierung und Klimaschutz ins Hintertreffen geraten. Kostendeckendes Wirtschaften wird für viele Betreiber somit zur Mammutaufgabe.

Passende langfristige Lösungen müssen aus der Politik kommen und die Pflegebranche macht seit Jahren auf die Notwendigkeit einer umfassenden und demografiefesten Pflegereform aufmerksam. Private, freigemeinnützige und kommunale Betreiber stehen dabei gleichermaßen vor einem Mix von Herausforderungen und benötigen Rahmenbedingungen, die nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften ermöglichen.

Unabhängig von allen aktuellen Missständen im deutschen Gesundheitssystem ist klar: Der Bedarf an Pflegeplätzen im demografiegetriebenen „Altenheim Deutschland“ ist weiterhin ungebrochen. Unaufhaltsam wächst die Nachfrage nach dem systemrelevanten Gut Pflege – und diese wird von einem qualitativen und quantitativem Angebot bedient werden müssen.

Artikel vom August 2023

 

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