Heutiges Ungleichgewicht in der Refinanzierung der Pflege

Die Pflegeversicherung wurde 1995 ursprünglich als „Teilkaskoversicherung“ gegründet, um die pflegebedingte Sozialhilfeabhängigkeit zu beenden. Damit erfolgte eine deutliche Entlastung der Sozialhilfeträger. Wenn heute darauf verwiesen wird, dann erweckt dies oftmals den Eindruck, dass eine Eigenbeteiligung der Bewohner in den Pflegeeinrichtungen stets beabsichtigt war, was allerdings nur teilweise korrekt ist.

Die Kosten für einen Pflegeplatz setzen sich aus drei Hauptkomponenten zusammen: Neben dem Pflegesatz gibt es die Bestandteile Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten.

Bei Einführung der Pflegeversicherung sollten Bewohner lediglich für die Kosten der Unterkunft und Verpflegung aufkommen, während die Pflegesätze durch die Pflegeversicherung und die Investitionskosten durch die Länder getragen werden sollten.

Die Leistungen der Pflegeversicherung sind jedoch nicht dynamisch, sondern als festgelegter monatlicher Leistungszuschuss, der sich an der Höhe des Pflegegrades orientiert, definiert. Im Laufe der Jahre gab es zahlreiche Reformen zur Stärkung der Pflege (z. B. Pflegestärkungsgesetze I und II), die auch mit Kostensteigerungen vor allem im Bereich der Pflegesätze einhergingen. Diese Kostensteigerungen werden dabei in erster Linie durch die Bewohner getragen. Zwar wurde im Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) ein Leistungszuschlag eingeführt, der eine Bezuschussung je nach Dauer des Aufenthaltes vorsieht. Durch die weiteren Vorgaben des GVWG wie Tarifzahlungen und bessere Personalausstattungen steigen die Eigenanteile aber noch schneller als bisher und die Bezuschussung reicht nicht, um die zusätzlichen dauerhaften Kosten zu kompensieren.

Mit Blick auf die Investitionskosten sind die einzelnen Bundesländer im föderalen System eigentlich dazu verpflichtet, die Kosten für die stationäre Altenpflege zu fördern. Allerdings ist die gesetzliche Regelung so unverbindlich formuliert, dass die Länder ihre finanzielle Verantwortung sehr unterschiedlich interpretieren und entsprechend handeln können. Im Rahmen der landesrechtlichen Ausgestaltung haben sich verschiedene Förder- und Refinanzierungsstrukturen entwickelt. In einigen Ländern erhalten die Betreiber im Rahmen der Errichtung der Einrichtungen eine Objektförderung in Form von Investitionszuschüssen, andere Bundesländer haben bei der Finanzierung auf eine Subjektförderung umgestellt, bei der letztlich die Pflegebedürftigen unter Einbeziehung ihrer eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse entsprechende Zuwendungen des Landes erhalten. Würden die Investitionskosten von den Ländern übernommen, könnte man sicherstellen, dass die Infrastruktur der Pflegeeinrichtungen finanziell abgedeckt ist und qualitativ hochwertige Pflege angeboten werden kann.

Die kalkulatorischen Auslastungsquoten für vollstationäre Pflegeeinrichtungen liegen in der Regel zwischen 96 und 98 Prozent. Nur wenn dieser Auslastungsgrad erreicht wird, erhalten die Einrichtungen die notwendigen Erlöse zur Refinanzierung ihrer Kosten. Die reale Auslastung ist aufgrund der während der Coronapandemie oftmals rückläufigen Belegung jedoch noch heute überwiegend deutlich geringer. Diese Auslastungsrisiken tragen die Betreiber vollumfänglich selbst, da geringere reale Belegungszahlen hierbei noch keine Berücksichtigung bei der Berechnung finden.

Im September 2022 trat die durch das GVWG vorgegebene Tarifpflicht in Kraft. Durch die Anknüpfung an den Versorgungsvertrag mussten sich alle Betreiber einem Tarifvertrag anschließen oder müssen seitdem das Personal in Anlehnung an einen Tarifvertrag vergüten. Diese Gehälter sind in den Pflegesatzverhandlungen anzuerkennen. Da durch die Änderungen nahezu alle Pflegeeinrichtungen neue Pflegesatzverhandlungen führen mussten, kamen die Pflegekassen und Sozialhilfeträger einer zeitnahen Bearbeitung nicht mehr nach und es kam zu Verzögerungen bei der Entgeltfindung. Die Betreiber mussten die gesetzlich vorgeschriebenen höheren Gehälter zahlen, jedoch erhielten sie im Gegenzug keine Refinanzierung durch höhere Entgelte.

Relativ zeitgleich kamen Inflation, das Chaos auf den Energiemärkten und explodierende Kosten in nahezu allen Bereichen hinzu. Bei unvorhergesehenen Preissteigerungen müssen Betreiber allerdings neue Pflegesatzverhandlungen führen und stehen so in erheblicher Abhängigkeit von den Kostenträgern. Die Preissteigerungen werden durch die Pflegekassen und Sozialhilfeträger nicht flächendeckend anerkannt, auch um die Eigenanteile für die Bewohner nicht noch weiter steigen zu lassen – eine wirtschaftliche Betriebsführung ist vielen Betreibern dadurch nicht mehr möglich, da Spielräume für solche Vorkommnisse bei der regulären Vergütung nicht vorgesehen sind. Im Umkehrschluss bedeutet das paradoxerweise, dass Bund und Länder, die sich die Förderung der Pflege auf die Fahnen schreiben, ein wirtschaftliches Handeln der Pflegeheimbetreiber derzeit blockieren bzw. zumindest stark erschweren. Bei einer Umfrage unter 2.500 Pflegeeinrichtungen des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) zu Beginn des Jahres 2023 gaben 77 Prozent der Mitgliedseinrichtungen an, signifikant negative Veränderungen des Betriebsergebnisses zu haben, und auch andere Studien und Befragungen warnen vor Engpässen bei der pflegerischen Versorgung.

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Spitze des Eisberges

Richten wir den Blick auf die Medien und die Meldungen von Insolvenzen mittlerer oder großer Betreibergruppen, dann lässt sich festhalten, dass dies nur die Spitze des Eisberges darstellt. Es gibt regional und auch trägerübergreifend Schließungen von Pflegeeinrichtungen. Kleinere Betreiber übergeben ihre Betriebe an größere Betreiber oder schließen ihre Häuser aufgrund der derzeit fehlenden Lukrativität und zu starker Regularien. Dies verzerrt das allgemeine Bild, da nur sehr schwer zu erkennen ist, wie viel Versorgungskapazität dem Markt tatsächlich verloren geht. Darüber hinaus geben größere Betreibergesellschaften viel Geld in das System, um ihre Liquidität sicherzustellen und die nicht ausreichende Refinanzierung zu überbrücken. Das führt insgesamt dazu, dass vollstationäre Pflege bei der derzeitigen Marktlage eine Herausforderung für alle Betreiber darstellt.

Betreiber Eisberg

Fazit:

Damit die pflegerische Versorgungssicherheit langfristig weiter gewährleistet ist, muss sich systemisch etwas an der Finanzierung ändern und weitere Reformen und Maßnahmen müssen folgen. Um konkrete Maßnahmen und Entlastungen der Betreiber umzusetzen und ein weiteres Wegbrechen von dringend benötigten Versorgungskapazitäten zu verhindern, braucht es ein neues Miteinander von Bund, Ländern, Kommunen und Kostenträgern. Dies fordern Betroffene, Marktteilnehmer und Verbände – bisher noch ohne positive Resonanz. Die aktuellen Entwicklungen treffen eine Branche mit einem immensen Anstieg der Nachfrage, wobei ein Wachstum und keine Reduzierung der Kapazitäten notwendig ist.

Artikel vom August 2023

 

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