Auswirkungen der Kostensteigerungen

Die Eigenbeteiligung der Heimbewohner ist zuletzt oft so erheblich gestiegen, dass diese vermehrt auf Sozialleistungen der Ämter angewiesen sind. Dieses Abrutschen in die Sozialhilfe wirkt sich unmittelbar auf die Einnahmen der Pflegeheimbetreiber aus. Dort mindert die geringere Belegung u. a. aufgrund von Personalmangel sowie höhere Instandhaltungskosten und indexierte Pachtverträge ohnehin schon abrupt die Ertragskraft. Auf diese Weise findet eine Verkettung unterschiedlicher Umstände statt.

 

Kostenentwicklung für Bewohner

Ursprünglich wurde die Pflegeversicherung eingeführt, um das finanzielle Risiko des Pflegebedarfs besser abzusichern und eine pflegebedingte Sozialhilfeabhängigkeit im Alter zu verhindern. Bei einem Einzug in das Pflegeheim und bestehender Pflegebedürftigkeit beteiligen sich die Pflegekassen an den monatlichen Kosten – dies jedoch nur anteilig. Reicht das Einkommen der Bewohner nicht, um die Kosten des Pflegeheims zu zahlen, müssen die eigenen Vermögenswerte und Einkommen der Kinder dafür verwendet werden. Reichen auch diese nicht aus und kann die Finanzierung des Platzes somit nicht mehr aus eigenen Mitteln gestemmt werden, besteht die Möglichkeit, „Hilfe zur Pflege“ beim zuständigen Sozialamt zu beantragen. Der Bewohner wird so zum Sozialhilfeempfänger.

Dass es für einen Platz im Pflegeheim einen zu zahlenden Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE) gibt, ist grundsätzlich nicht verwerflich und über einige Jahre reichte die Kostenbeteiligung der Pflegeversicherung für einen Großteil der Bewohner zur Kostendeckung aus. Eine fehlende bzw. unzureichende Dynamisierung der Pflegeversicherungsleistungen führt aber dazu, dass die Eigenanteile, die durch die Bewohner zu entrichten sind, seit Jahren kontinuierlich steigen. In diesen Eigenanteilen steckt dabei ein immer stärker steigender Prozentsatz an Pflegekosten. Seit 2018 bis heute nahm die finanzielle Belastung für Bewohner insgesamt um knapp 46 Prozent zu. Der Anteil der pflegebedingten Kosten stieg dabei von 593 Euro um 99 Prozent auf 1.183 Euro. Der Anteil der Investitionskosten, also die immobilienbezogenen Kosten für Pachtzahlungen, Instandhaltung und sonstigen Kosten für die Immobilien, stiegen über den vergleichbaren Zeitraum von 463 Euro lediglich um 3 Prozent auf 477 Euro. Dies bedeutet, dass sich die Investitionskosten im Verhältnis zur allgemeinen Teuerung völlig unterentwickeln, was wesentlichen Einfluss auf das Verhältnis zwischen dem Betreiber und dem Verpächter hat – dazu später mehr.

Mit der Verabschiedung des GVWG wurden Regelungen zur tariflichen Vergütung aller Pflegemitarbeiter getroffen. Dies führte bereits zu einem sprunghaften Anstieg des Einrichtungseinheitlichen Eigenanteils (EEE) von 2022 auf 2023. Zum Vergleich: Laut aktuellem Rentenatlas liegt die durchschnittliche Höhe der Bruttoaltersrente für Versicherte mit mindestens 35 Versicherungsjahren bei 1.550 Euro und somit derzeit deutlich unter dem durchschnittlichen monatlichen Eigenanteil für einen Platz in einer Pflegeeinrichtung.

Eigenbeteiligung Pflege 2023

Durchschnittliche finanzielle Belastung eines Pflegebedürftigen im Pflegeheim
(Quelle: vdek, 2023)

* ohne Ausbildungsumlage 

Nicht in der Kostenübersicht enthalten sind die hinzukommenden Preissteigerungen, da diese Preise nicht direkt in die Heimentgelte fließen, sondern erst nachgelagert in Pflegesatzverhandlungen eingepreist und dann über Kostensteigerungen der Bewohner refinanziert werden. Energie-, Lebensmittel- und allgemeine Sachkostensteigerungen werden die Eigenanteile zwangsläufig weiter erhöhen. Zudem trat im Juli 2023 ein neues Personalbemessungssystem in Kraft, welches für eine verbesserte Personalausstattung in den Einrichtungen sorgt. Diese Regelung ist nur ein Zwischenschritt zur vollständigen Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens; weitere Umsetzungsschritte sind vorgesehen und werden erhebliche Auswirkungen auf die Eigenanteile der Bewohner haben.

Ein Beispiel für das Ausmaß der zu erwartenden Kostensteigerung: Im Juli 2023 sorgte ein Flugblatt einer Bewohnerin, die in einer Einrichtung der Caritas in Weimar lebt, für Aufsehen. Die Bewohnerin beklagte, dass die monatliche Eigenbeteiligung um 1.135 Euro auf monatlich 3.413 Euro erhöht werden soll. Die Caritas bestätigte, dass der Eigenanteil erhöht wird, derzeit Pflegesatzverhandlungen geführt werden und der endgültige Betrag noch zur Diskussion steht. Bei den den Bewohnern mitgeteilten Entgelten handelte es sich um die kalkulierten Preise, die durch die Kostensteigerungen notwendig werden.

Die weiter steigenden Eigenanteile führten bereits dazu, dass der Anteil der Bewohner, die auf Hilfe zur Pflege durch den Sozialhilfeträger angewiesen sind, kontinuierlich stieg. Auch diese Entwicklung wird weitergehen und noch an Dynamik gewinnen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach sagte in einer Lesung im April 2023: „Was die langfristige Finanzierung der Pflege angeht, sind wir an einem Wendepunkt. Das jetzige System kann man nicht dauerhaft so weiter ausbauen, wie wir es bisher gemacht haben. Es muss anders gemacht werden.“

Inwiefern dies zu einer grundlegenden Reform der Pflegeversicherung führt, bleibt abzuwarten.

Kostenentwicklung für Pflegeheimbetreiber

Die Zunahme des Anteils von Sozialhilfeempfängern in den Pflegeeinrichtungen führt zudem zu einem weiteren und für die Betreiber nicht unerheblichen Nebeneffekt: Zum einen dauern die Prüfungsverfahren der Sozialhilfeträger in vielen Bundesländern mehrere Monate. In dieser Zeit erhalten die Betreiber der Pflegeeinrichtungen nicht das notwendige monatliche Entgelt.

Zum anderen hat dies auch Auswirkungen auf die Einnahmen aus den Investitionskosten. Der örtliche Sozialhilfeträger zahlt dem Betreiber oftmals einen deutlich geringeren Investitionskostensatz für Sozialhilfeempfänger als für die Selbstzahler, also jene Bewohner, die das monatliche Entgelt aus eigenem Vermögen zahlen. Diese Verschiebung der Bewohneranteile von Selbstzahlern und Sozialhilfeempfängern kann die Kalkulationen der Betreiber in ein empfindliches Ungleichgewicht bringen. Denn durch einen sich erhöhenden Anteil an Sozialhilfeempfängern in den Einrichtungen sinken direkt die Einnahmen aus den Investitionskosten. Doch gerade die Pachthöhen wurden seinerzeit beim Abschluss der langfristigen Pachtverträge ohne diesen Umstand und bei einer ohnehin erhöhten Belegung kalkuliert. Somit baut sich hier Monat für Monat bei dem Betreiber eine größere Einnahmenlücke auf.

Nicht zuletzt ist der ursprünglich kalkulierte Ansatz für die Instandhaltungsarbeiten mit branchenüblichen 1,50 Euro pro Bett und Tag im heutigen Preisgefüge für Handwerker und Materialkosten nicht mehr auskömmlich. Heute bedarf es eher 2,50 – 3,00 Euro pro Bett und Tag. Letztendlich ein weiterer Faktor, der die Ertragskraft des Betreibers insgesamt senkt.

 

Eine Beispielrechnung

Zur Verdeutlichung dieser Umstände hat IMMAC die vorab beschriebenen Auswirkungen für ein fiktives Pflegeheim mit 80 Pflegeplätzen dargestellt. Für die Bewohner steigen die monatlichen Kosten um 1.000,- Euro, was teils ein Abrutschen in die Sozialhilfe bedeutet und somit den Anteil der Sozialhilfeempfänger im Heim erhöht. Der Betreiber führt das Heim mit einer auf 85 Prozent geminderten Belegung, Investitionskostenzuschüssen von 15,- Euro für Sozialhilfeempfänger bzw. 18,- Euro pro Bett und Tag für Selbstzahler. Die betreiberseitigen Rücklagen für Instandhaltungsaufwendungen steigen von 1,50 Euro auf 2,50 Euro pro Bett und Tag.

Beispielrechnung_Betreiber

Kostenentwicklung für den Verpächter

Generell ist der Verpächter der Immobilie über den Pachtvertrag vertraglich mit dem Betreiber verbunden. Seine Pflicht umfasst die Herstellung bzw. Zurverfügungstellung einer betriebsbereiten Immobilie mit dem Nutzungszweck als Pflegeheim, meist gebunden mit langfristigen Krediten von Finanzierungsinstituten. In der Immobilie führt der Betreiber den Betrieb nach seinem jeweiligen Unternehmenskonzept.  Die Nutzung durch einen anderen Betreiber ließe sich zumeist nicht ohne weitere Investitionen erreichen. Der Heimbetreiber zahlt monatlich einen festen Pachtzins für die lange Vertragslaufzeit von 20, 25 oder 30 Jahren. Allesamt Eigenschaften der Betreiberimmobilie.

Wesentlicher Vertragsinhalt zwischen den Parteien ist somit der monatliche Pachtzins, welcher zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unter den seinerzeitigen Marktbedingungen vereinbart und mit indexgesicherten Pachtverträgen abgeschlossen wurde. Die Betreiber kalkulierten ihre nachhaltig zu erwirtschaftenden Pachtzahlungen mit einer realistischen 95 %igen Belegung mit 1,50 Euro pro Bett und Tag als Instandhaltungsrücklage und wussten von den jährlich trägen Nachverhandlungsrhythmen mit den Ländern zu den wichtigen Investitionskostenzuschüssen. Also den Zuschüssen, welche sich wie eingangs erwähnt in den letzten Jahren mit 3 Prozent ohnehin fast an keine reale Teuerung anpassten. Und dies, obwohl die gesetzlichen Anforderungen und jeweiligen Heimgesetzgebungen von den Immobilien immer weitere kostentreibende Aspekte (größere Pflegezimmer, mehr Einzelzimmer, neuere technische Ausstattung etc.) abverlangen. Bisher ging diese Rechnung auf. Und wie auch in anderen Wirtschaftszweigen orientierten sich alle Marktteilnehmer an dem gesetzten Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) einer Inflationsrate von 2 Prozent. Bisher.

Doch wie vorab beschrieben kommt es seit Beginn des Jahres 2022 ganz anders: Innerhalb weniger Monate drehten sich die Finanz- und Kapitalmärkte; Energie- und Bauwirtschaft gerieten in Turbulenzen; die Inflation in Deutschland stieg seit Februar 2022 rapide und erreichte im November ihren Höchststand von 8,8 Prozent (Statistisches Bundesamt). Verpächter und Betreiber sind von der Teuerung für ihre jeweiligen Geschäftsmodelle zunächst zwar gleichermaßen betroffen, doch die Steigerung des Verbraucherpreisindex löst in den Pachtverträgen sofort flächendeckende Pachterhöhungen zum Nachteil des Betreibers aus. Ab dem zweiten Halbjahr 2022 wurden Pachtsteigerungen von 10–20 Prozent und mehr pro Monat zum Maxime.

Bundesweit funken Betreibergesellschaften „SOS“ unter dem insgesamt entstandenen Kostendruck, verursacht durch die groteske Situation der Märkte, gesetzliche Anforderungen, das entstandene Chaos zur Bewohnerbelegung, Personalmangel, Waren- und Dienstleistungen, Energiebeschaffung und nunmehr auch noch steigende Pachten. Dies alles vor dem Hintergrund einer nur sehr langsamen und/oder nur anteiligen Refinanzierung der Systemkosten. Im Jahr 2023 kam es zur Zahlungsunfähigkeit großer Betreibergesellschaften und die ersten Insolvenzverfahren wurden eröffnet.

Für den Verpächter einer Betreiberimmobilie ist der Ausfall des Pächters das größte Risiko. Das finanzierende Bankinstitut fordert erstrangig die Bedienung des Kapitaldienstes aus Zins und Tilgung und auch alle weiteren Kapitalgeber sind vor einem weiteren Schaden zu bewahren. Ein Austausch des Betreibers ist oftmals mit hohen Investitionen in Form von Übernahmezuschüssen und Investitionen in die Immobilie verbunden. Ohnehin haben in der aktuellen Marktphase fast alle Betreibergesellschaften ihren Fokus auf die Stabilisierung von deren bestehendem Portfolio gerichtet. Übernahmeangebote sind rar und, wenn überhaupt nur, mit großen Pachtabschlägen zu erreichen. Unter dem Strich gibt es keine direkten Profiteure.

Kostenauswirkungen Pflegemarkt 2023

Artikel vom August 2023

 

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